Regionale Projekte

Geschichte über den Jungen Safari

Das Wort Safari bringen die meisten Europäer in erster Linie mit dem Abenteuer in den Nationalparks Afrikas in Verbindung. Übersetzt aus dem Suaheli bedeutet Safari: Reise.

 

Was fällt Ihnen zu Safari ein? Wahrscheinlich denken sie jetzt an die traumhaften afrikanischen Landschaften mit unzähligen Elefanten-, Giraffen- oder Büffel-Herden, oder an die magischen Geräusche der afrikanischen Nächte und an den unendlichen Sternenhimmel. Vielleicht erinnern sie sich an die einzigartige farbenprächtige Natur mit nur für Afrika typischen purpurroten, dunkelvioletten oder schneeweißen Blumen. Oder an die Geheimnisse des Indischen Ozeans mit dem seidenweichen Wasser und den  Überraschungen der Wasserwelt während der Gezeiten.

Oder stellen sie sich jetzt die kilometerlangen Strände mit dem weißen Sand und graziösen Kokosnusspalmen vor?

Auch wenn sie noch nie in Afrika waren, haben sie ganz sicher solche Bilder im Fernsehen und in den Reiseprospekten gesehen. Diese Schönheit Afrikas kann man wundervoll beschreiben, aber viel schöner und eindrucksvoller ist es, diese Gefühle und Eindrücke persönlich zu erleben. Neben dieser bezaubernden Traumwelt, die auch die Luxus-Hotels zu nutzen wissen,  gibt es noch ein ganz anderes Afrika, in dem ich vor drei Jahren einem dreijährigen goldigen Jungen mit dem Namen Safari begegnete.

Als eines der jüngsten Kinder im Kindergarten zog er mit seiner aufgeweckten und putzmunteren Art automatisch die Aufmerksamkeit auf sich. Sein Lächeln steckte jeden Ankömmling an. Mir ging es bei unserer ersten Begegnung nicht anders. Diesen kleinen Sprössling musste man einfach mögen. Nachdem ich erfuhr, dass er, wie die meisten Kinder in unserem Kindergarten keine richtige Familie hat: Vater unbekannt, Mutter alkoholkrank, nahm ich ihn öfters auf die Arme und streichelte sein kurzes krauses Haar. In diesen Momenten drückte er sich mit seiner ganzen Kraft an mich. Mir fiel es immer schwer, mich von ihm loszulösen. Während die 5- und 6-Jährigen fleißig am Unterricht teilnahmen und die englischen und deutschen Zahlen wiederholten, bewegte er sich unruhig hin und her, sprang manchmal zu unserer provisorischen Tafel, zupfte mit seinen kleinen Fingern an meinen Kleidern oder klammerte sich an meinen Beinen fest.

Wenn sein Freund Malipo für ihn eine Konkurrenz darstellte und mein anderes Bein oder den anderen Arm in Anspruch nehmen wollte, verteidigte Safari seine alleinige Ansprüche auf nicht sehr friedliche Art. Leider konnte ich auf meinem dürftigen Suaheli diese Konfliktsituationen nicht mit Worten lösen und musste alle meinen nicht vorhandenen schauspielerischen Fähigkeiten einsetzten: Meistens mit Erfolg, und ohne dass die Tränen geflossen sind. Bei so vielen Waisenkindern musste ich nun aufpassen, dass ich meine Zuneigung auf alle Kinder gerecht verteile.

Als bei einem meiner Besuche beim Wiederholen der Zahlen Safari mir ins Ohr auf meinem Arm sitzend, alle Deutsche Zahlen flüsterte, dachte ich, dass ich halluziniere. Er passte doch im Unterricht nie auf und war immer mit irgendwelchen Spielereien beschäftigt, aber keinesfalls mit dem Lernen. Aber dieses kleine kluge Köpfchen nahm alles auf, ohne sich anzustrengen. Eines Tages kam ich im Kindergarten kurz vorbei, nur um den Kindern einige Leckereien zu bringen. Mein Mann und unser kenianischer Bekannte Ali warteten auf mich im Auto. Ich verteilte Traubenzucker und Bonbons. Jedes Kind bekam von jedem eins. Wie fast immer bei solchen Aktionen, streckten alle Kinder gleichzeitig ihre Hände aus, schubsten sich gegenseitig, als ob sie Angst hätten, dass es nicht für alle reicht. Zwei Bonbons fielen mir aus der Tüte auf den Boden. Ich bemerkte, wie Safari sie schnell aufhob, in seine Tasche steckte und aus der Hütte rannte. Nach ein Paar Minuten kam er zurück. Ich wusste in dem Moment nicht, soll ich etwas sagen oder nicht, und tat so, als ob ich nichts gesehen habe, bin aber schon etwas nachdenklich geworden. Als alle Kinder mit dem Auspacken beschäftigt waren, verabschiedete ich mich, weil wir noch einen Termin in einer Schule hatten.

Im Auto berichtete mir mein Mann folgendes: Safari lief aus der Hütte zum Auto, begrüßte freudestrahlend die Männer und … reichte jedem ein Bonbon.

9 Monate später (2005), als wir wieder nach Kenia kamen, verbreitete das Buschtelefon die Nachricht, dass wir schon sind. Ich war sehr gespannt, ob sich die Kinder an mich erinnern werden. Als ich mich der Hütte näherte, kam ein Geschrei mir entgegen. Luba, Luba. Die Kinder und Helen warteten schon … und begrüßten mich mit einem Willkommens-Lied.  Safari vergaß mich auch nicht und hängte sich gleich an mich, aber nur mit einem Arm drückte er mich fest. Ich merkte sofort, er ist viel dünner und ausgehungerter geworden und sein Blick war desinteressiert und bedrückt. Und dann erzählte mir Helen folgende Geschichte: Im Oktober hat seine Mutter den Jungen so geschlagen, dass sie ihm den Arm gebrochen hat. Sie war betrunken und wütend auf ihn, weil der Kleine drei Tage lang jammerte. Und das Kind wollte nur etwas zu Essen haben. Die Nachbarn hörten das Kind schreien und zogen den Jungen von der außer Kontrolle geratenen Frau weg und brachten ihn zum Buschdoktor.

Wie wir erfahren haben, bekommt er nur im Kindergarten etwas zu Essen, und wenn 2 Wochen Ferien sind, füttern ihn mal Nachbarn, mal Fremde, mal niemand. Zu Hause bekommt das Kind nichts.

Bei unserem letzten Aufenthalt  im Dezember 2006 – Februar 2007 war Safari nicht mehr da. Mir wurde berichtet, dass seine Mutter auf Grund ihrer Alkoholsucht den Verstand verlor und irgendwelche Verwandten aus dem Landesinneren den Jungen zu sich nahmen.

Ich hoffe, es geht dir gut, mein Sonnenschein.

Luba Maier, Integramus e.V.

 

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